Donnerstag, 16. Juni 2011

Frei zu morden

Es ist richtig, der libyschen Opposition militärisch zu helfen, nicht aber der syrischen. Auch wenn dies zum Verzweifeln ist.
Hubschrauber und Panzer nehmen Städte unter Feuer, Scharfschützen erschießen Demonstranten, mindestens 1.100 Menschen sind nach UN-Angaben bislang getötet worden, vermutlich 10.000 verhaftet, Hunderte von ihnen gelten als »verschwunden«. Das Bild eines 13-Jährigen namens Hamzan, der vermutlich nach einer Protestdemonstration im Gefängnis zu Tode gefoltert wurde, ist um die Welt gegangen. Syrische Flüchtlinge an der türkischen Grenze bestätigen inzwischen, was wir täglich auf verschwommenen Handy-Videos zu sehen bekommen: Das Regime in Damaskus führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung, Stadt für Stadt, wo immer sich Widerstand regt. »Barbarisch«, so nannte Türkeis Premierminister Recep Tayyip Erdoğan das Vorgehen der syrischen Streitkräfte. »Widerwärtig und abscheulich«, rief US-Außenministerin Hillary Clinton. »Nicht hinnehmbar«, erklärte ihr britischer Amtskollege William Hague.
Ein Déjà-vu. Die Bilder aus Syrien gleichen jenen aus Libyen im Februar, alsMuammar al-Gadhafi seine Panzer Richtung Bengasi rollen ließ und seine Geheimdienstler von Hausdächern herab reihenweise Demonstranten erschossen.
»Widerwärtig und abscheulich«, rief US-Außenministerin Hillary Clinton


Syrische Panzer rollen auf die nächsten Städte zu, an der türkisch-syrischen Grenze bahnt sich ein Flüchtlingsdrama an. Was die Syrer bislang nicht haben wollen, ist eine militärische Intervention "zum Schutz der Zivilbevölkerung."

Anders als Libyens Muammar al-Gadhafi, dessen offensichtlich bröckelnde Gegenwehr vor allem auf loyalen Spezialeinheiten beruht, stützt sich das Regime in Damaskus auf eine Armee mit über 400.000 Mann und eines der größten Waffenarsenale in der Region. Anders als im Fall Libyen haben andere Länder in der Region, allen voran Iran, Interesse an Assads Machterhalt. Anders als im Fall Libyen gibt es keine Nationen, die zu einem weiteren Militäreinsatz in der Lage wären. Und anders als in Libyen gibt es in Syrien keine Aufstandsbewegung mit eigenem Territorium. Das schmälert nicht den Heroismus der syrischen Demonstranten. Was die Menschen dort wagen, ist nicht weniger heldenhaft als der Widerstand der Tschechen gegen sowjetische Panzer 1968. Schön gesagt. Und jetzt lassen wir sie also allein? Nein. China und Russland werden ihre Taktik im Sicherheitsrat unter westlichem Druck womöglich schnell überdenken. Was wiederum das Assad-Regime weiter unter Druck setzen würde, das durch den Einsatz von Panzern nicht stärker, sondern schwächer geworden ist. Vor drei Monaten hätte niemand eine anhaltende Protestbewegung für möglich gehalten, noch vor zwei Wochen waren meuternde Soldaten undenkbar. Die Türkei muss Unterstützung erhalten bei der Versorgung von Flüchtlingen und bei ihren Versuchen, auf Damaskus einzuwirken – bis hin zum Angebot, die Führungsclique ins Exil zu schaffen. Solche diplomatischen Schurkendeals sind nicht ruhmreich, aber sie helfen den Syrern mehr als jedes Gedankenspiel einer Militärintervention. Auch wenn man vor Wut schreien möchte angesichts rollender Panzer der syrischen Armee.

Dienstag, 14. Juni 2011

Maher al-Assad – General ohne Skrupel

Maher al-Assad, der Bruder von Syriens Präsident, organisiert den brutalen Kampf gegen die Opposition. Seine Einheiten stürmten zuletzt die Stadt Dschisr al-Schogur.
Maher al-Assad (links) mit seinem Bruder, dem heutigen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad (rechts) bei der Beerdigung ihres Vaters (Archivbild).
Maher al-Assad (links) mit seinem Bruder, dem heutigen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad (rechts) bei der Beerdigung ihres Vaters (Archivbild).
Menschen flüchten zu Tausenden über die Grenze, Eliteeinheiten und Staatssicherheit wüten in den Städten – drei Monate dauert nun schon der Kampf zwischen dem syrischen Diktator und seinem Volk. Politische Zugeständnisse von Präsident Bashar al Assad haben die Lage nicht beruhigt, nach 1300 Toten und Massenfolter in den Gefängnissen scheint die Zeit für Kompromisse vorbei. Und so kämpft das Baath-Regime inzwischen mit purer Gewalt ums Überleben – organisiert von dem jüngeren Präsidentenbruder Maher al Assad.

Was genau geschieht, lässt sich nicht sagen, ausländische Journalisten dürfen nicht mehr ins Land. Rund 7000 Männer, Frauen und Kinder haben sich in der Türkei in Sicherheit gebracht. Ankara bereitet Zeltstädte für weitere 10.000 Flüchtlinge vor. Im Vormonat hatten die gefürchteten Eliteeinheiten in ähnlicher Manier die Bewohner in Daraa an der Grenze zu Jordanien sowie in Homs in Zentralsyrien belagert und beschossen, um ein Exempel zu statuieren.Der 43-jährige General hat keine Skrupel. Er befehligt das zentrale Machtinstrument des Regimes, die Elitetruppen der Vierten Division der syrischen Armee sowie die Republikanischen Garden. Deren Soldaten bestehen überwiegend aus Angehörigen der alawitischen Minderheit, zu der auch die Assad-Familie gehört. Am Wochenende stürmten sie mit 150 Panzern, Kampfhubschraubern und Artillerie die 50.000-Einwohner-StadtDschisr al-Schogur, eine Hochburg der Aufständischen. Nach Berichten von Augenzeugen zogen die Truppen durch die Straßen und feuerten mit Maschinengewehren wild um sich. In der Lesart des Regimes, am Montag verbreitet von der staatlichen Nachrichtenagentur Sana, heißt es dagegen: "Armeeeinheiten haben die Region von bewaffneten Banden gesäubert, die die Bewohner terrorisierten, öffentliches und privates Eigentum angriffen und Chaos über die Stadt brachten."
Ihr Kommandant Maher al Assad kennt kein Erbarmen. Im Internet ist ein aufsehenerregendes Video zu sehen, das offenbar den Präsidentenbruder zeigt, wie er in einem Vorort von Damaskus – umgeben von Elitesoldaten – eigenhändig auf Demonstranten schießt. In seiner Heimat kursieren zahllose Geschichten über seine Machtlust und Brutalität. Von klein auf galt er als hitzköpfig und unberechenbar. Dem Ehemann seiner älteren Schwester schoss er 1999 bei einem Familienstreit in den Bauch. 2008 befehligte der gelernte Ingenieur die Niederschlagung einer Revolte im Gefängnis von Saidnaya nahe Damaskus. Eine Fotosequenz zeigt ihn, wie er durch die Trümmer schreitet und mit seinem Mobiltelefon Aufnahmen der verstümmelten Körper politischer Häftlinge macht. Seine Landsleute jedenfalls trauen ihm alles zu – zu Recht. So veröffentlichte Human Rights Watch kürzlich Augenzeugenberichte über willkürliche Hinrichtungen und Folter während der jüngsten Proteste sowie das spurlose Verschwinden von Verhafteten, darunter zahlreiche Kinder. Desertierte Soldaten gaben an, sie hätten den Befehl gehabt, Demonstranten gezielt zu töten

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