Frei zu morden
Es ist richtig, der libyschen Opposition militärisch zu helfen, nicht aber der syrischen. Auch wenn dies zum Verzweifeln ist.
Hubschrauber und Panzer nehmen Städte unter Feuer, Scharfschützen erschießen Demonstranten, mindestens 1.100 Menschen sind nach UN-Angaben bislang getötet worden, vermutlich 10.000 verhaftet, Hunderte von ihnen gelten als »verschwunden«. Das Bild eines 13-Jährigen namens Hamzan, der vermutlich nach einer Protestdemonstration im Gefängnis zu Tode gefoltert wurde, ist um die Welt gegangen. Syrische Flüchtlinge an der türkischen Grenze bestätigen inzwischen, was wir täglich auf verschwommenen Handy-Videos zu sehen bekommen: Das Regime in Damaskus führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung, Stadt für Stadt, wo immer sich Widerstand regt. »Barbarisch«, so nannte Türkeis Premierminister Recep Tayyip Erdoğan das Vorgehen der syrischen Streitkräfte. »Widerwärtig und abscheulich«, rief US-Außenministerin Hillary Clinton. »Nicht hinnehmbar«, erklärte ihr britischer Amtskollege William Hague.
Ein Déjà-vu. Die Bilder aus Syrien gleichen jenen aus Libyen im Februar, alsMuammar al-Gadhafi seine Panzer Richtung Bengasi rollen ließ und seine Geheimdienstler von Hausdächern herab reihenweise Demonstranten erschossen.
»Widerwärtig und abscheulich«, rief US-Außenministerin Hillary Clinton
Syrische Panzer rollen auf die nächsten Städte zu, an der türkisch-syrischen Grenze bahnt sich ein Flüchtlingsdrama an. Was die Syrer bislang nicht haben wollen, ist eine militärische Intervention "zum Schutz der Zivilbevölkerung."
Syrische Panzer rollen auf die nächsten Städte zu, an der türkisch-syrischen Grenze bahnt sich ein Flüchtlingsdrama an. Was die Syrer bislang nicht haben wollen, ist eine militärische Intervention "zum Schutz der Zivilbevölkerung."
Anders als Libyens Muammar al-Gadhafi, dessen offensichtlich bröckelnde Gegenwehr vor allem auf loyalen Spezialeinheiten beruht, stützt sich das Regime in Damaskus auf eine Armee mit über 400.000 Mann und eines der größten Waffenarsenale in der Region. Anders als im Fall Libyen haben andere Länder in der Region, allen voran Iran, Interesse an Assads Machterhalt. Anders als im Fall Libyen gibt es keine Nationen, die zu einem weiteren Militäreinsatz in der Lage wären. Und anders als in Libyen gibt es in Syrien keine Aufstandsbewegung mit eigenem Territorium. Das schmälert nicht den Heroismus der syrischen Demonstranten. Was die Menschen dort wagen, ist nicht weniger heldenhaft als der Widerstand der Tschechen gegen sowjetische Panzer 1968. Schön gesagt. Und jetzt lassen wir sie also allein? Nein. China und Russland werden ihre Taktik im Sicherheitsrat unter westlichem Druck womöglich schnell überdenken. Was wiederum das Assad-Regime weiter unter Druck setzen würde, das durch den Einsatz von Panzern nicht stärker, sondern schwächer geworden ist. Vor drei Monaten hätte niemand eine anhaltende Protestbewegung für möglich gehalten, noch vor zwei Wochen waren meuternde Soldaten undenkbar. Die Türkei muss Unterstützung erhalten bei der Versorgung von Flüchtlingen und bei ihren Versuchen, auf Damaskus einzuwirken – bis hin zum Angebot, die Führungsclique ins Exil zu schaffen. Solche diplomatischen Schurkendeals sind nicht ruhmreich, aber sie helfen den Syrern mehr als jedes Gedankenspiel einer Militärintervention. Auch wenn man vor Wut schreien möchte angesichts rollender Panzer der syrischen Armee.